Co to jest dydaktyka literatury?/ Was ist Literaturdidaktik?

 

EINIGE FRAGEN ZU STAND UND PERSPEKTIVEN DER LITERATURDIDAKTIK IN POLEN

Veroffentlicht in: Europejczycy 3 (2)/2002, S. 27-40


Gegenstand der Literaturdidaktik

Der Gegenstand der literaturdidaktischen Forschung ist die literarische Bildung des Menschen. Dabei sucht sie Antworten auf die Fragen nach den Zielen dieser Bildungsprozesse, ihrem gesellschaftlichen und kulturellen Sinn, ihrem Umfang, ihrer Struktur, ihren Voraussetzungen und Bedingungen,  ihren Methoden und ihrer Effektivität. Zur Bewältigung dieser Aufgaben bemüht sich die Literaturdidaktik um eine rationelle, auf wissenschaftlicher Grundlage fundierte Theorie und Praxis der literarischen Bildung des Menschen in und auβerhalb der Schule.
Der Literaturdidaktik liegen zwei fundamentale Voraussetzungen zugrunde:
  1. Kontakt eines Menschen mit Literatur ist aus dem individuellen und gesellschaftlichen Standpunkt unentbehrlich, er ermöglicht eine allseitige Entwicklung der Persönlichkeit und die Teilnahme des Individuums an der Kultur,
  2. Auf den Umgang mit Literatur muss der Mensch vorbereitet werden, daher ist eine zielbewusste literarische Bildung notwendig (PASTERNIAK: 1984:17-18).

Da sich Literaturdidaktik auf die literarische Bildung innerhalb der schulischen Ausbildung konzentriert, wird sie auch als „Theorie der literarischen Erziehung und Bildung“, die „wissenschaftliche Beschäftigung mit Literaturunterricht“ (GLAAP: 1991, 119) oder die „Wissenschaft vom Literaturunterricht“ bezeichnet (STOCKER: 1987, 224), ist also eine der Fachdidaktiken. Zu den Schwerpunkten der literaturdidaktischen Reflexion gehören: Lernzieldiskussion mit ihrer Betonung der pädagogischen wie gesellschaftlichen Bedeutung fachspezifischer Inhalte,  Erstellung und Kontrolle unterschiedlicher Lernziele, Auswahl und Strukturierung der Lerninhalte, Analyse und Planung von Lernvorgängen und Entwicklung, Űberprüfung und Weiterentwicklung von Curricula für den Literaturunterricht (STOCKER:1987, 224-225). Aus der Zugehörigkeit der Literaturdidaktik zur allgemeinen Didaktik ergibt sich ihre Fragestellung in zweifacher Hinsicht: als Wissenschaft vom Unterricht und als Theorie der Bildungsinhalte. Dazu gehören u.a.:

  1. Im normativen Aspekt: Ableitung von Erziehungszielen, vorwissenschaftliche Rezeptologie,
  2. Im bildungstheoretischen Aspekt: Theorie der Bildungsinhalte – Curriculumentwicklung, Methodenlehre und Bezug zur Schulpraxis,
  3. Im informationstheoretischen Aspekt: Unterrichtstechnologie (Medien, Programme), formale Fragen – Dosierung, Effizienz,
  4. Im lerntheoretischen Aspekt: Aufarbeiten und Kontrollieren von Einflussfaktoren, Differenzierung: Methodenkonzeptionen, Lernphasen, Sozial, Aktions- und Űbungsformen des Unterrichts,
  5. Im kommunikationstheoretischen Aspekt: Unterrichtliche Interaktionsprozesse, Unterrichtssprache, Rollenfragen im Unterricht (STOCKER: 1987, 227).

 Literaturdidaktik unter  fremdsprachlichen Bedingungen

Literaturdidaktik ist infolge eines langen Prozesses der Emanzipation von der Didaktik der Muttersprache zur selbstständigen Fachdidaktik geworden. In ihrer primären Erscheinungsform tritt sie als Didaktik der muttersprachlichen Literatur auf. Die Erkenntnisse der muttersprachlichen Literaturdidaktik sind auf den Literaturunterricht an Grund- und Oberschulen ausgerichtet; die Bedürfnisse der Schulpraxis sind ein wesentlicher Faktor in ihrer Entwicklung. Jedes Land verfügt über das umfangreiche literaturdidaktische Schrifttum über seine nationale Literatur, obwohl der Entwicklungsstand der Literaturdidaltik auf dem Weg zur selbständigen Wissenschaft nicht überall gleich ist 1).
Die nationale Literatur funktioniert auβerhalb des eigenen Landes unter fremdsprachlichen Bedingungen. In jedem Land existiert auβer der nationalen muttersprachlichen Literatur die fremdsprachliche Literatur in ihrer originellen Sprachfassung, die auch zum Lehrgegenstand wird. Die Literaturdidaktik als eine der selbstständigen Fachdidaktiken hat also in jedem Land zwei Verwendungsbereiche: Didaktik der muttersprachlichen und der fremdsprachlichen Literatur. Die fremdsprachliche Literatur wird vermittelt im neuphilologischen Studium im Hochschulbereich (Auslandsgermanistk, -anglistik, -romanistik usw.), sie findet auβerdem ihren Einzug in den Fremdsprachenunterricht (in Grund- und Oberschulen, auch in Fremdsprachenkursen auβerhalb der Schule), wo auch mit literarischen Texten des Zielsprachelandes gearbeitet wird.
Jede Art der Beschäftigung mit der fremdsprachigen Literatur unterscheidet sich voneinander im Lehrgegenstand – also auch in der Zielsetzung des Unterrichts – und Beziehung zu der Sprache. Der muttersprachliche wie der fremdsprachliche Literaturunterricht haben die Vermittlung des literaturbezogenen Fachwissens und der literaturbezogenen Fertigkeiten zum Ziel, beide konzentrieren sich in erster Linie auf den literarischen Gegenstand. Aus diesem Grund wird die Didaktik der muttersprachlichen wie der fremdsprachlichen Literatur als Literaturdidaktik sensu stricto angesehen.
Die didaktischen Hinweise für die Organisation und Durchführung des muttersprachlichen Literaturunterrichts, des fremdsprachlichen Literaturunterichts und des Fremdsprachenunterrichts, in dem mit literarischen Texten gearbeitet wird, müssen die differente Spezifik der Bedingungen des Lehr- und Leseprozesses berücksichtigen; sie müssen auch theoretisch entsprechend begründet werden. So scheint es berechtigt, zwischen drei Erscheinungsformen der Literaturdidaktik zu unterscheiden. Im Rahmen der Literaturdidakitk sensu stricto sind es die muttersprachliche und die fremdsprachliche Literaturdidaktik. Für die didaktische Reflexion über den Einsatz der literarischen Texte im Fremdsprachenunterricht wird der Termin „Literaturdidaktik als Bezugsfeld der Glottodidaktik“ vorgeschlagen.
Die Gemeinsamkeit aller Varianten beruht darauf, dass sie alle einen Beitrag zur literarischen Bildung des Menschen leisten und deswegen zum Interessengebiet der Literaturdidaktik gehören.
Zwischen allen drei Bereichen existieren innere Verbindungen und Bezüge, die  in der Zukunft zum Gegenstand separater Forschung werden sollten.

Literaturdidaktik als Bezugsfeld der Glottodidaktik

Literaturdidaktik und Glottodidaktik haben einen gemeinsamen Interessenbereich – den Einsatz  literarischer Texte im Fremdsprachenunterricht. Dieses Feld kann als ein Grenzgebiet zwischen den beiden Fachdidaktiken betrachtet werden.
 Obwohl dieser Bereich unter fremdsprachlichen Bedingungen (z. B. in Polen) auch mit dem Begriff „Literaturdidaktik“ bezeichnet wird, zeigt er in der Tat mehr Verwandtschaft mit Glottodidaktik vor allem im Hinblick auf das Ziel der Beschäftigung mit literarischen Texten im Fremdsprachenunterricht.
Im Vordergrund steht hier die Entwickung der kommunikativen Kompetenz. Den Lehrgegenstand bildet nicht Literatur, sondern die Zielsprache. Literatur wird als Mittel zur Entwicklung der Sprachfertigkeiten behandelt. Literarische Texte werden im Fremdsprachenunterricht in erster Linie nicht um ihren künstlerischen und ästhetischen Wert willen und nicht wegen ihrer Relevanz für literarische Bildung eingesetzt, diese werden – wenn schon – erst an der zweiten Stelle erwähnt. Der literarische Wert der Texte wird im Unterricht oft nicht thematisiert; erst seit Mitte der 80er Jahren wird der künstlerischen Komponente und den Besonderheiten des literarischen Lesens Rechnung getragen (vgl. KAST: 1994, 5, 7); die Texte dienen hauptsächlich als Sprech- und Schreibanlass, als ein Instrument im Prozess des Spracherwerbs.
Der Einsatz von Literatur wird auβer ihren Vorteilen für die Sprachbeherrschung und Unterrichtsgestaltung auch mit der Rolle der Literatur für das Kennenlernen der Kultur des Zielsprachelandes, Vermittlung der landeskundlichen Informationen und Überwindung der kulturräumlichen Distanz begründet (vgl. KAROLAK: 1999, 37-52).
Die Textwahl erfolgt nicht nach fachliterarischen Kriterien – darüber entscheiden die Anforderungen des Fremdsprachenerwerbs, der Unterrichtsgestaltung und die landeskundliche Relevanz. Im Rahmen der Fremdsprachendidaktik beschäftigt sich die Literaturdidaktik fast ausschlieβlich mit kleinen literarischen Formen: Kurzprosa, z. B. Kurzgeschichten, Märchen, Novellen und Gedichten, weil das Ziel Fremdsprachenbeherrschung damit am besten realisiert werden kann.
Literarische Texte sind im Fremdsprachenunterricht nicht infolge der literaturtheoretischen Entwicklung erschienen, sondern dank dem kommunikativen Ansatz der Fremdsprachendidaktik (KAST: 1994, 5).
Diese Argumente zeugen davon, dass dieses Grenzgebiet zwischen den beiden Fachdidaktiken mehr der Fremdsprachendidaktik als der Literaturdidaktik verpflichtet ist 2). Aus oben genannten Gründen wird der Termin „Literaturdidaktik“, der in Polen in Bezug auf diesen Bereich verwendet wird als zu allgemein, mehrdeutig und dadurch irreführend vermieden. Statt dessen werden Bezeichnungen wie: Literaturdidaktik als Teil der Glottodidaktik (Fremdsprachendidaktik), Literaturdidaktik als Bezugsfeld der Glottodidaktik, Literaturdidaktik im Rahmen der Glottodidaktik oder Literatur im Fremdsprachenunterricht (DaF-Unterricht, Deutschunterricht) verwendet, weil sie in der Űberzeugung der Autorin den Sachverhalt präziser bezeichnen.

Entwicklung der Literaturdidaktik als Bezugsfeld der Glottodidaktik in Polen 

Die Literaturdidaktik als Grenzgebiet zu der Fachdidaktik Deutsch als Fremdsprache hat in Polen erst eine kurze Tradition. Die allseitigen Vorteile der literarischen Texte für den Fremdsprachenunterricht hat man hier erst etwa zu Beginn der neunziger Jahre erkannt, das Thema war aber eine Zeitlang eine Randerscheinung in der Glottodidaktik.
Eine gute Orientierung in der Praxis des Fremdsprachenunterrichts an polnischen Schulen gibt die Zeitschrift „Języki Obce w Szkole“. Die Thematik der Artikel, deren Autoren Fremdsprachenlehrer sind, widerspiegelt ihren Kenntnisstand und ihr methodisches know-how. Einmal im Jahr wird ein Wettbewerb zu einem methodischen Schwerpunkt ausgeschrieben, der als eine Neuerung gilt. Die Analyse der Jahrgänge 1990-2000 von „Języki Obce w Szkole“ ermöglicht einen Einblick darin, wie das Thema „literarische Texte im Deutschunterricht“ von polnischen Fremdsprachenlehrern rezipiert wurde.
Diese Thematik wird in dieser Zeitschrift zum ersten Mal erst in der Nummer 5, 1992 (CHARCIAREK: 1992, 391-396) behandelt. Im Jahr 1993 gibt es 2 Artikel zu dieser Thematik: in der Nummer 1 und 5, in der Nummer 2 erscheint die Rezension der Publikation von Aleksander Kozłowski (KUCZYŃSKI: 1993, 181-183); das Jahr 1994 bringt 4 Artikel, das Jahr 1995 – 1 Artikel. Aus den Texten geht hervor, dass bis ins Jahr 1995 literarische Texte im Unterricht traditionell wie Sachtexte behandelt und zur Entwicklung von Leseverstehen oder Wortschatzerweiterung eingesetzt werden. Als Arbeitsformen werden Fragen zum Inhalt, richtig-falsch-Aufgaben, Lückentexte, Transformationsübungen, Űbersetzung, Klassengespräch über den Inhalt vorgeschlagen, z. B. Adjektive zur Person, Berufe, Tiernamen (WIŚNIEWSKA: 1993, 24-39), Wortschatz „Arten des Lachens“ ausgehend von Tucholskys Gedicht „Das Lächeln der Mona Lisa“ (BIAŁEK: 1994, 428-429), Űbersetzung der Gedichte ins Polnische im Französischunterricht (AFTENI-ZDRZALIK: 1994, 425-427). Manche Artikel beschäftigen sich mit Leben und Schaffen eines Schriftstellers oder geben eine Interpretation des Werkes ohne Bezug zur Unterrrichtspraxis (ORŁOWSKI: 1994, 395-400, PIŁAT: 1994, 99-102). Erst seit dem Jahr 1996 schlagen die Artikel Arbeitstechniken vor, die man nicht als typisch DaF-didaktische, sondern als literaturdidaktische Vorgehensweisen im heutigen Sinn auffassen kann (u.a. HERMES: 1996, 445-448, STANULEWICZ, ŁUCZAK: 1996, 56-57). Das Thema bleibt aber weiterhin unpopulär: das Jahr 1996 bringt 3 Artikel, das Jahr 1997 auch 3 Artikel, das Jahr 1998 – 4 Artikel über Literatur im Fremdsprachenunterricht. Im Jahr 1998 wird Literatur im Unterricht zum Thema des Wettbewerbs für Fremdsprachenlehrer: „Tekst literacki w nauce języka obcego: bogactwo języka, wielość interpretacji, uczuć i emocji“. Die Arbeiten zu diesem Thema weden in nächsten Jahren veröffentlicht (JANOWSKA: 1999, 227-238, WIDAWSKA: 1999, 357-365, SKRZYPCZYŃSKA: 2000, 31-33). Man kann also feststellen, dass die Literaturdidaktik als ein Bestandteil der DaF-Didaktik erst seit 1998 im Bewusstsein der breiteren Kreise der Fremdsprachenlehrer existiert 3).
In der zweiten Hälfte der neunziger Jahre wurde die Literatur im DaF-Unterricht öfter zum Thema von didaktischen Publikationen (u.a. ANDRZEJEWSKA: 1997, GŰNTHER, KOTZ, MAKOWSKI, RAUEN: 1998).
Einen Umbruch brachte das Jahr 1999, das als Goethe-Jahr ein verstärktes Interesse für Literatur im Deutschunterricht hervorrief. Es geschah im groβen Maβe dank Aktivitäten und Veröffentlichungen des Goethe-Instituts, darunter dem Goethe-Kalender 1999 sowie anderen Wettbewerben und Veranstaltungen (vgl. dazu „Post von Goethe“: 1999). Es entstand auch eine Sammlung von Kurzprosa, Gedichten und Liedern für den Deutschunterricht (NAMOWICZ: 1999).
Die oben genannten Veröffentlichungen beschränken sich auf die praktischen methodischen Hinweise für die Arbeit mit literarischen Texten im Deutschunterricht, sind also typisch für das vorwissenschaftliche Entwicklungsstadium der Literaturdidaktik.
In dem genannten Zeitraum wurden auch Versuche vorgenommen, Literaturdidaktik als Teilbereich der Glottodidaktik auf die wissenschaftliche Stufe zu erheben. Kozłowski (1991) nimmt als Grundlage für Literaturdidaktik als Teilgebiet der Glottodidaktik die Erkenntnisse der muttersprachigen Literaturdidaktik und schlägt aus dieser Perspektive Unterrichtsmodelle und Arbeitstechniken für den Fremdsprachenunterricht vor; Denka (1996) untersucht Lesestrategien und Lesesteuerungsstrategien beim Einsatz literarischer Texte und stellt einen theoretischen Rahmen für ein integriertees Lesemodell für Deutsch als Fremdsprache auf. Karolak (1996 und 1999) betont stärker die Bezüge zur Literaturdidaktik sensu stricto und Literaturwissenschaft indem er Probleme und Strategien beim Verstehen des literarischen Textes in fremdkulturellen Bedingungen in den Mittelpunkt der Erwägungen stellt.
Der theoretische Aspekt der literaturdidaktischen Reflexion wird in Polen noch selten zum Forschungsgengenstand; der Űbergang zur wissenschaftlichen Entwicklungsphase der Literaturdidaktik als Teilgebiet der Fremdsprachendidaktik vollzieht sich deswegen nur langsam. Seitens der polnischen Literaturdidaktiker werden die Themen wie Diskussion über Ziele der Beschäftigung mit literarischen Texten im Fremdsprachenunterricht, Strategien der Lehrzielbestimmung, Erstellung von Curricula für den Fremdsprachenuntericht mit Berücksichtigung der literarischen Texte, Analyse und Planung von Lernvorgängen, ihre wissenschaftliche Erläuterung und Begründung selten unternommen. Ein weiterer Mangelbereich ist die Didaktik der fremdsprachlichen Literatur.

Didaktik der fremdsprachlichen Literatur 

Die Nationalliteratur eines Landes wird auch auβerhalb seiner Grenzen zum Lehrgegenstand. Es handelt sich dabei nicht um kurze literarische Texte zum Einsatz im Fremdsprachenunterricht, sondern um Ganzschriften aller Literaturgattungen, die als repräsentative Werke der jeweiligen nationalen Literatur in den literaturhistorischen Epochen anerkannt werden. In ihrer originellen sprachlichen Fassung werden sie an Neuphilologien an Universitäten, Pädagogischen Hochschulen, Fremdsprachenkollegs und anderen Institutionen der Lehrerausbildung im Literaturunterricht in fremdsprachlichen Bedingungen behandelt. Für die Vermittlung der fremdsprachigen Literatur benötigt man auch eine Literaturdidaktik. Diese Art der Literaturdidaktik hat ihre Stellung im Rahmen der Literaturdidaktik sensu stricto und wird hier als „Didaktik der fremdsprachlichen Literatur“ oder „fremdsprachliche Literaturdidaktik“ bezeichnet.
Die Didaktik der fremdsprachlichen Literatur weist Verwandtschaft mit der Didaktik der muttersprachlichen Literatur vor allem im Hinblick auf den Lehrgegenstand auf. In beiden Fällen steht die Methodik der Vermittlung des literaturgeschichtlichen Wissens (der literaturhistorische Entwicklungsprozess) und die Arbeit an Ganzschriften, meistens groβen Kanonwerken: Dramen, Epen, Romanen, Novellen, aber auch kürzeren Formen die die Literaturepochen repräsentieren, im Mittelpunkt des Interesses. Literatur ist hier der eigentliche Lehrgegenstand. Die Didaktik zielt darauf, ihn am effektivsten an die Lernenden zu vermitteln.
Die fremdsprachliche Literaturdidaktik nimmt im Spannungsfeld zwischen Sprachbeherrschung und Beherrschung des literarischen Gegenstandes die Stellung zwischen der Literaturdidaktik als Teil der Glottodidaktik und der muttersprachlichen Literaturdidaktik.
Der Unterschied zu der muttersprachlichen Literaturdidaktik ergibt sich vor allem aus der Sprache, in der Rezeption des literarischen Werkes und Kommunikation über Literatur im Unterricht stattfindet: einmal ist es die Muttersprache, das andere Mal die Fremdsprache, was den Schwierigkeitsgrad der Beschäftigung mit Literatur erhöht und bestimmte didaktische Konsequenzen für die Gestaltung des Lehrprozesses nach sich zieht, der Besonderheiten der Kommunikation in der Fremdsprache berücksichtigen muss 4). Neben der Kommunikation im Unterricht ist hier das Problem der literarischen Kommunikation von besonderer Relevanz: die kulturelle Distanz der ausländischen Lernenden zu der Literatur des Zielsprachelandes beeinflusst die Rezeption der literarischen Werke. Die Differenzen, die sich daraus zwischen der muttersprachlichen und fremdsprachlichen Literaturdidaktik ergeben, betreffen:

  1. Die Zielsetzung des Literaturunterrichts: im fremdsprachlichen Literaturunterricht müssen auβer den literaturbezogenen Zielen sprachbezogene und fremdkulturelle Ziele berücksichtigt werden. Daraus ergeben sich vielfältige Implikationen für die Behandlung des literaturhistorischen Lehrstoffes, Textanalyse und Interpretation eines literarischen Werkes.
  2. Die veränderte Zielsetzung bestimmt weitgehend die
  3. Unterrichtsgestaltung: die Lernenden müssen zur ständigen sprachlichen Aktivität veranlasst werden, dazu müssen entsprechende Sozialformen und Arbeitstechniken eingesetzt werden
  4. Lehrinhalte: Ähnlichkeiten und Unterschiede in der literarischen Entwicklung zwischen dem eigenen Land und dem Zielspracheland müssen hervorgehoben werden.

Entwicklungsperspektiven der fremdsprachlichen Literaturdidaktik in Polen

Die fremdsprachliche Literaturdidaktik wendet sich an einen engen Adressatenkreis und findet deshalb in der Forschung kaum Beachtung. Eine didaktische Konzeption des fremdsprachigen Literaturunterichts 5) ist in Polen bisher nicht entstanden, obwohl Literatur an Neuphilologien aller Universitäten und Hochschulen in Polen seit ihrer Entstehung unterrichtet wird. Das Modell der Universitätsbildung, in dem das literaturgeschichtliche Wissen in Vorlesungen vermittelt und das literarische Werk im Lehrgespräch (Frontalunterricht) während der Seminare interpretiert wird bildet ein didaktisches Grundmuster des Literaturunterrichts und ist in der polnischen Lehrtradition tief verankert. Der Literaturunterricht im neuphilologischen Studium ist kognitiv ausgerichtet, er konzentriert sich auf Lehrinhalte und lässt die didaktische Seite des Literaturunterrichts in den Hintergrund treten. Das sind Ursachen dafür, dass man der literaturdidaktischen Reflexion im Rahmen der Hochschuldidaktik bisher zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt hat.
Diese Lücke zu füllen ist eine der künftigen Aufgaben der fremdsprachlichen Literaturdidaktik in Polen: es sollen didaktische Konzeptionen der Literaturvermittlung für das neuphilologische Studium und Fremdsprachenlehrerausbildung erarbeitet werden, die die Spezifik des Literaturunterrichts unter fremdsprachlichen Bedingungen, die neuesten Prinzipien der Didaktik/Methodik und das Profil des Studienlehrgangs berücksichtigen werden. Die literaturdidaktische Reflexion soll sich auf den normativen, bildungstheoretischen und lerntheoretischen Aspekt konzentrieren und folgende Fragen erläutern:
 Die Entstehung derartiger Konzeptionen ist dank dem wissenschaftlichen Pluralismus der Literaturdidaktik 6) möglich, der die Existenz vieler Modelle der Literaturvermittlung sowohl auf der muttersprachlichen als auch auf der fremdsprachlichen Ebene der Literaturdidaktik erlaubt.
Die Impulse für die Entwicklung der fremdsprachlichen Literaturdidaktik sind zum einen in der Lehrtradition der muttersprachlichen Literaturdidaktik des Heimatlandes (Polens) zu suchen, zum anderen in der eigensprachlichen Literaturdidaktik des Zielsprachelandes 7). Die Literaturdidaktik des Heimatlandes bestimmt die Lehrtradition und prägt die Grundmuster für die Beschäftigung mit Literatur im Unterricht, die auf die fremdsprachige Literaturdidaktik (oft unbewusst) übertragen werden, so dass gewisse Schwierigkeiten bei der Durchsetzung eines alternativen Modells auftreten können. Die Literaturdidaktik des Zielsprachelandes bezieht oft andere literaturwissenschaftliche und didaktische Positionen und zeigt neue Perspektiven, so dass sie imstande ist, Anstöβe zu der Weiterentwicklung der Literaturdidaktik im Heimatland zu geben. Im praktischen Aspekt hat sie die gröβte Erfahrung in der Behandlung der jeweiligen literarischen Werke und der Literaturgeschichte im Unterricht; sie bietet auch die umfangreiche Fachliteratur zu konkreten Fragen, die sich aus der Unterrichtspraxis ergeben. Deshalb ist dieser Bereich für die Literaturdidaktik in fremdsprachlichen Bedingungen von gröβter Bedeutung.



 Bibliographie

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BIAŁEK Z. (1994): Krótki tekst literacki na lekcji języka niemieckiego. „Języki Obce w Szkole“ Nr. 5.
BREDELLA L. (1976): Einführung in die Literaturdidaktik. Verlag W. Kohlhammer, Stuttgart.
CHARCIAREK A. (1992): Praca z tekstem literackim na zaawansowanym etapie nauczania języka rosyjskiego. „Języki Obce w Szkole“ Nr. 5.
DENKA A. (1996): Lesestrategien und Lesesteuerungsstrategien beim Einsatz literarischer Texte. „Lingua ac Communitas“ Nr. 6.
GLAAP A.-R. (1991): Literaturdidaktik und literarisches Curriculum. in: BAUSCH K.-R., CHRIST H., HŰLLEN W., KRUMM H.-J. (Hrsg.).
GŰNTHER Ch., KOTZ A., MAKOWSKI M., RAUEN M. (Hrsg) (1998): Materialien zur Literatur. Das Polenbild in der deutschsprachigen Literatur. Didaktisierungen. Goethe Institut Kraków.
HERMES U. (1997): Lebensläufe und Lebensentwürfe – eine Unterrichtsreihe mit Gedichten. „Języki Obce w Szkole“ Nr. 5.
JANOWSKA I. (1999): Tekst literacki w nauce języka obcego: bogactwo języka, wielość interpretacji, uczuć i emocji. „Języki Obce w Szkole“ Nr. 3.
„Języki Obce w Szkole“. Jahrgänge: 1990 Nr. 1-5; 1991 Nr. 1,2,4,5; 1992 Nr. 1-5; 1993 Nr. 1-5; 1994 Nr. 1-5; 1995 Nr. 1,3,4,5,6; 1996 Nr. 1-5; 1997 Nr.1-5; 1998 Nr. 1-5; 1999 Nr. 3,5; 2000 Nr. 1, 2-3, 4.
KAROLAK Cz. (1999): Dydaktyka literatury wobec potrzeb nauki języka w warunkach obcokulturowych. Wydawnictwo naukowe UAM, Poznań.
KAROLAK Cz. (1999): Literaturverstehen und Textdidaktik in fremdsprachenspezifischer Perspektive. „Convivum“.
KAST B. (1994): Literatur im Fremdsprachenunterricht. „Fremdsprache Deutsch“ Nr. 2.
KOZŁOWSKI A. (1991): Literatura piękna w nauczaniu języków obcych. WSiP, Warszawa.
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NAMOWICZ T., NAMOWICZ E. (1999): Dein Deutsch. Materiały pomocnicze. Seria teksty autentyczne. Graf-Punkt, Warszawa.
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PIŁAT W. (1994): Tekst literacki w nauczaniu języków obcych. Dramaty Josifa Brodskiego. „Języki Obce w Szkole“ Nr. 2.
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SKRZYPCZYŃSKA J. (2000): Tekst literacki w nauce języka obcego: bogactwo języka, wielość interpretacji, uczuć i emocji. „Języki Obce w Szkole“ 1/2000.
STANULEWICZ D., ŁUCZAK A. (1996): Minisagi na lekcji języka angielskiego. „Języki Obce w Szkole“ Nr. 1.
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TURKOWSKA E. (2001): Das Fach Kinder- und Jugendliteratur in der Deutschlehrerausbildung. „Hallo Deutschlehrer. Zeitschrift des Polnischen Deutschlehrerverbandes“ Nr. 2 (12).
WIDAWSKA B. (1999): Tekst literacki w nauce języka obcego: bogactwo języka, wielość interpretacji, uczuć i emocji. „Języki Obce w Szkole“ Nr. 4.
WIŚNIEWSKA H. (1993): Bajki inaczej. „Języki Obce w Szkole“ Nr. 1.

 

 Anmerkungen 

1) Die deutsche Literaturdidaktik scheint auf diesem Weg weiter fortgeschritten zu sein als die polnische z. B. in der Bestimmung des Gegenstandes und der Aufgaben der Literaturdidaktik, in praxisbezogenen Lösungen wie Fragen der Curriculumforschung, Strategien der Lehrzielfindung (STOCKER: 1987, 224-240, PASTERNIAK: 1984, 144, 146).

2) Die vielfältigen Verbindungen und Abhängigkeiten von der Literaturwissenschaft und Literaturdidaktik sensu stricto sollen dabei keinesfalls geleugnet werden. Die Beziehung zwischen der selbständigen Literaturdidaktik und der Literaturdidaktik im Rahmen der Glottodidaktik ist wechselseitig: die erste muss die Besonderheiten der fremdsprachlichen Kommunikation in den Literaturuntericht miteinbeziehen; die zweite benutzt bei der Textarbeit und Aufgabenstellung zum Spracherwerb Verfahren, die typisch literatudidaktischer Herkunft sind und auf Erkenntnissen der Literaturwissenschaft, insbesondere der Rezeptionsforschung basieren. Die Literaturdidaktik als Bezugsfeld der Glottodidaktik zeigt auβerdem eine gewisse didaktisch-methodische Autonomie: manche Verfahren wie Leseverzögerung, Antizipation, Ergänzen der Leerstellen, „Textapplikationen“ werden seitens der Fremdsprachendidaktik (bei der Arbeit mit Sachtexten) nicht verwendet, auch innerhalb der Literaturdidaktik sensu stricto (bei der Arbeit an umfangreichen Ganzschriften) können sie kaum eingesetzt werden.

3) Die Deutschlehrer sind in diesem Zeitraum mit 9 Artikeln repräsentiert.

4) In diesem Punkt zeigt sich die Verwandtschaft der fremdsprachlichen Literaturdidaktik mit der Glottodidaktik.

5) Gemeint ist die Konzeption des deutschsprachigen Literaturunterrichts im Rahmen der polnischen Germanistik und Deutschlehrerausbildung.

6) Je nach den unterschiedlichen Auffassungen des Menschenbildes, der Literatur und der Lernziele entstehen unterschiedliche literaturdidaktische Konzeptionen, so dass eine einheitliche Theorie der Literaturdidaktik nicht zu erwarten ist. „Wird Literatur unter einer psychologischen, marxistischen, hermeneutischen oder strukturalistischen Literaturtheorie erschlossen, so enthält der jeweilige Ansatz bereits weitgehende Vorentscheidungen sowohl über das lernende Subjekt als auch über den Bildungssinn des Gegenstandes“ (BREDELLA: 1976, 12). Deshalb enthalten die literaturdidaktischen Konzeptionen verschiedene Gewichtung der erwähnten Elemente und sie messen ihnen verschiedene Bedeutungen bei. Dem Pluralismus der Literaturdidaktik liegt also der pluralistische Charakter der Didaktik (Pädagogik) und der Literaturwissenschaft zugrunde, die z. B. als Gesellschaftswissenschaft, Kommunikationswissenschaft oder Textwissenschaft verstanden werden kann. Die jeweiligen literaturtheoretischen Positionen – New Criticism, Strukturalismus, Dekonstruktivismus, Rezeptionsästhetik – beantworten auch explizit oder implizit die didaktische Frage nach der Legitimation der Lektüre und der Interpretation literarischer Texte auf unterschiedliche Weise. Die Literaturdidaktik stellt einen kategorialen Rahmen für die alternativen Konzepte bereit (BREDELLA: 1976, 13).

7) Weitere Entwicklungsimpulse sind auf dem Gebiet der Literaturdidaktik als Bestandteil der DaF-Didaktik zu suchen, die u.a. Besonderheiten des Leseprozesses der fremdsprachlichen literarischen Texte und ihre Konsequenzen für den Unterricht untersucht.


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