Sagen aus Wielkopolska (Grosspolen, ehem. Ostmark) Podania ludowe z Wielkopolski

 







Die hier abgedruckten Texte stammen aus der Sammlung „Ostmärkische Sagen, Märchen und Erzählungen“, die von Otto Knoop im Jahre 1909 herausgegeben wurde.
Hier befinden sich 90 Sagen aus der damaligen Provinz Posen. Die ursprünglich mündlichen Überlieferungen wurden vom Herausgeber und von seinen Mitarbeitern aufgeschrieben. Zur Entstehungsgeschichte des Bändchens berichtet der Herausgeber im Vorwort folgendes:
„Mein im Jahre 1893 erschienenes >Posener Sagenbuch< war der erste Versuch, die reichen Sagenschätze unsres Posener Landes in deutscher Sprache der Wissenschaft und den deutschen Bewohnern der Provinz zugänglich zu machen. Zahlreiche kleinere folgten dieser ersten gröβeren Veröffentlichung, da es mir gelang, immer neue Mitarbeiter für mein Werk zu gewinnen und nach und nach eine Anzahl befähigter Schüler zum Sammeln von Sagen anzuregen.
Hauptsächlich aus dem Zusammenwirken von Lehrer und Schülern ist diese Sammlung Ostmärkischer Sagen, Märchen und Erzählungen ernsten und schwankhaften Inhalts hervorgegangen. Mehrere Beiträge lieferte ein treuer Helfer, Herr Lehrer Adalbert Szulczewski in Brudzyn. Nr. 68 und 69 sind nach der Erzählung des Herrn Lehrers Sniatała mitgeteilt.
Wollte aber mein Sagenbuch besonders der Wissenschaft dienen, indem es ihr ein reichhaltiges Material aus einem bisher noch wenig berücksichtigten Gebiete zuführte, so will diese neue gröβere Sammlung (...) in erster Linie ein Lesebuch sein, ein Lesebuch auch für die Jugend, die sich durch die schönen Erzählungen des Volkes – je nach ihrem Inhalt – belehren, ermahnen, (...) erheitern lässt (...).
(...) Es ist auch die Scheidung in deutsches und polnisches Eigentum auf unserem völkisch und sprachlich so durchdringend gemischten Gebiet gar nicht immer möglich. Ich hörte Sagen und Märchen, deren deutsche Herkunft unzweifelhaft ist, aus polnischem Munde, polnische aus deutschem. (...)
Das Märchen Nr. 39 hat, wie der Erzähler mitteilte, zuerst ein Lehrer in Czarnikau seinen Schülern erzählt, und von der Schule hat es seinen Weg weiter in die Stadt genommen. (...) Nr. 45 erinnert an Wilhelm Hauffs Märchen: Das kalte Herz. (...)“.
(Knoop 1909:III-IV)
Diese Auszüge informieren über die historische und gesellschaftliche Situation in Wielkopolska zu Beginn des 20. Jahrhunderts und können als ein Zusatztext mit historischen Informationen im Unterricht eingesetzt werden.
Sagen aus Wielkopolska können mit historischen Zielen verbunden werden. Für die Realisierung der historischen Ziele kann man in der Textverarbeitungs- und Űbungsphase die Schüler auf die polnischen Eigennamen im ersten Satz des Textes aufmerksam machen und fragen, warum sie in einem deutschen Text auftreten. Die Erkenntnis, dass es sich um die Sage aus dem Gebiet handelt, wo einst Polen und Deutsche lange nebeneinander gelebt haben, kann als Einstieg in die Erarbeitung der Geschichte von Wielkopolska, Pomorze und ¦l±sk führen (Zeittafel mit Daten und historischen Ereignissen, Bild-Text-Collage, Poster, Computer-Präsentation, Zuordnungsübungen, u. v. m.). 
 
 
 

Der böse Klaus

 
In Wyki bei Dobrzyca (Kreis Pleschen) [1] lebte von vielen Jahren ein Knabe mit Namen Klaus. Seine Eltern waren schon früh gestorben, und von Jugend auf war er sich überlassen gewesen. Er bewohnte eine halb zerfallene Hütte im Dorf. Schon früh reifte in ihm der Wunsch, auf Abenteuer auszugehen. Eines Tages machte er sich auf. Er kam in einen groβen Wald. Nachdem er lange darin umhergewandert war, fand er eine Waldschenke, in der er zu übernachten beschloss. Da er kein Geld hatte, wollte er sich, bevor er in die Schenke eintrat, welches verschaffen und legte sich auf die Lauer. Bald kam ein armer alter Händler vorbei, den er zu töten und zu berauben beschloss. Er sprang aus seinem Versteck hervor, um den alten Mann niederzuschlagen, blieb aber wie gebannt stehen, als dieser seine Hand erhob und ihm mit drohender Stimme zurief: „Unseliger, der du morden willst! Ewig sollst du hier stehen zur Warnung der Menschenkinder!“ Hierauf verschwand der Mann. Klaus aber zeigt sich noch jetzt jede Nacht an der Stelle mit hoch erhobener Hand, so dass jeder rechtschaffene Mensch diesen Ort meidet. Trotz aller Warnungen wollte einmal ein wagemutiger Jüngling den Geist sehen; er fand aber dabei seinen Tod, und seitdem wagt es sich niemand mehr, den Ort zu betreten.
In: Knoop 1909:41-42
 
 

Ein Mörder wird in eine Kuh verwandelt.

 
In einem Dorfe bei Samter hatte einst ein unehrlicher Mann einen Krug[2] inne. Die Leute, die darin verkehrten, wunderten sich stets, dass ihre Rechnung so groβ war, obgleich sie nicht viel genossen hatten. Eines Tages kehrte ein reicher Herr dort ein, und da es schon dunkel war, blieb er über Nacht. Der Wirt bemerkte bei ihm einen Gürtel, in dem sein ganzes Geld eingenäht war. In der Nacht ermordete er den Fremden und nahm ihm den Gürtel weg. Am anderen Morgen verscharrte er die Leiche in dem nahen Walde. Als er von hier zurückkehrte, wurde er von zwei Männern gesehen und angezeigt. Er schwor jedoch, dass er keinen Mord begangen hatte, und fügte hinzu: „Wenn ich das getan habe, so soll mich gleich der Teufel holen“. Kaum hatte er die Worte gesprochen, da kam auch schon der Teufel durch die Tür geflogen und verwandelte ihn in eine Kuh. Seit der Zeit geht der wirt in der Gestalt einer schwarzen Kuh im Walde umher.

In: Knoop 1909:42-43
 
 

Ein Spötter versinkt in die Erde.

 

In einem Dorfe bei Kruschwitz lebte ein wohlhabender Bauer, der nur ein einziges Kind, einen Sohn, hatte. Dieser Sohn war aber schlecht erzogen und verübte deshalb oft böse Taten. Wenn er auf das Feld musste, um das Vieh zu hüten, bekam er von seiner Mutter viele Leckereien mit, und Brot hatte er immer im Überfluss, so dass er es gar nicht verzehren konnte. Baten ihn nun die armen Knaben, die in der Nähe hüteten, um ein Stückchen Brot, so wollte er ihnen nichts geben. Eines Tages trieb er wieder sein Vieh auf das Feld. In der einen Hand hielt er ein groβes Butterbrot, das er aber nicht aβ, weil er keinen Hunger hatte. Da kamen arme Knaben hinzu und baten ihn, er möge ihnen doch das Stück Brot geben. Er leckte die Butter ab, beschmierte dann das Brot mit Kot und warf es so den Knaben hin. Mit Schaudern sahen diese auf den Gottesgabenschänder. Sie hoben das Brot auf und verscharrten es. Die Strafe Gottes aber blieb nicht aus: Der Knabe blieb wie versteinert stehen und versank nach und nach in die Erde. Vergebens versuchten die Knaben ihn herauszuziehen; dann eilten sie nach Hause und riefen die Eltern herbei, aber auch diese konnten nichts ausrichten. Auch der Geistliche kam und sagte verschiedene Gebete her; doch auch das half nichts. Vergebens flehte und jammerte der Knabe und bat Gott öffentlich um Verzeihung. Zuletzt holte man Spaten herbei und versuchte, ihn herauszugraben; aber je mehr man grub, desto schneller versank er, bis zuletzt nichts von ihm zu sehen war.
In: Knoop 1909:43-44
 
 

Der Stein bei Chorzempowo

 

Ein junger Mann aus dem Dorfe Chorzempowo (Kr. Birnbaum), der ein leidenschaftlicher Jäger war, ging einmal bei hellem Mondschein zum Walde, um zu wildern. Seine Geliebte, die um ihn besorgt war, folgte ihm, ohne dass er es wusste. Plötzlich sprang ein Reh vor dem Jäger auf und lief gerade nach der Richtung hin, wo sich die Geliebte des Jünglings befand. der Jäger sah etwas laufen und schoss. Er hatte auch getroffen; denn das Reh stürzte zu Boden. Als er aber hinzukam, um die Beute zu besehen, da sah er zu seinem groβen Schrecken, dass er nicht das Reh, sondern seine Braut getötet hatte, die er über alles liebte. Von Schmerz ergriffen, küsste er die Sterbende; dann lud er das Gewehr von neuem und erschoss sich selbst. An der Stelle, wo die beiden ihr Leben endeten, liegt ein groβer Stein mit zwei Kreuzen. Noch jetzt hört man oder manchmal ein lautes Stöhnen und Klagen, und oft hat man auch einen rauch aufsteigen sehen, der von Schüssen herzurühren schien.
In: Knoop 1909:49-50
 

Die Entstehung des Dorfes Dziadkowo

 

Die Bewohner von Dziadkowo bei Rogowo erzählen folgende Geschichte: Einst wohnte in Rogowo ein alter Bettler, der schon viele Abenteuer erlebt hatte. sein ganzes Leben wurde er von den Bewohnern der Umgegend für ein Geheimnis gehalten, denn man kannte ihn nur als Bettler; von seinem früheren Leben wusste man nichts. Dieser Mann kehrte in der Nacht durch den nicht weit von Dziadkowo gelegenen Wald, in dem damals sehr viele Wölfe waren, nach Hause zurück. In dem Walde wurde er, der als Waffe nur einen Handstock hatte, von Wölfen überfallen. In dieser groβen Gefahr, meinte er, könne ihm nur Gott helfen. Deshalb warf er sich vor einem Kreuz auf die Knie und begann das polnische Kirchenlied: „Kto się w opiekę...“ zu singen. Es war aber zu jener Zeit in der Umgegend die Pest ausgebrochen, und die Leute, die an der Krankheit gestoben waren, wurden in dem Walde begraben, und man hatte ihnen ein einfaches Kreuz aufgestellt. Gott half auch dem Bettler; denn er erschien ihm in der Gestalt einer leuchtenden Wolke. Als die Wölfe diese sahen, blieben sie besinnungslos stehen und liefen dann, als die Wolke verschwunden war, entsetzt von dannen. In derselben Nacht verlieβen sie den Wald, und man sah an anderen Tage keinen Wolf mehr. da sie der Schrecken der ganzen Gegend gewesen waren, so waren die Leute dem alten Mann seht dankbar, und zum Dank schenkten sie ihm ein groβes Stück Land und erbauten ihm darauf ein Dorf, welches sie ihm zu Ehren Dziadkowo nannten, von poln. dziad, ein alter Bettler. Und auch in der Folgezeit verlieβ ihn der Gott nicht, er lebte glücklich und erreichte ein hohes Alter. Man erzählt auch, dass er in der Kirche nach dem Empfang des heiligen Abendmahls gestorben sei, und deshalb hat man ihn für einen heiligen gehalten.
In: Knoop 1909:52-53
 

Der Graf und der Schmied

 

Es war einmal ein Graf, ein gar böser Herr, der seine Leute quälte, wo er nur konnte. Namentlich hat er es auf einen Schmied abgesehen, den er nicht leiden konnte. Eines Tages sagte er zu ihm: „Baue mir auf diesem Hügel ein Schloss, oder ich lasse dich in Stücke reiβen“. Als der Mann nach Hause kam und seiner Frau erzählte, welchen Auftrag er erhalten habe, da gab ihm die Frau einen Strick und sagte: „Gehe in den Wald und erhänge dich, so bist du vor den Nachstellungen des Grafen gerettet“. Der Schmied sah ein, dass ihm kein anderes Mittel übrig blieb, nahm den Strick und ging in den Wald.
Unterwegs begegnete ihm ein unbekannter Mann. Der redete ihn an und sagte: „Ich weiβ, was du vorhast, aber komm mit mir!“ Er führte ihn zu einem Heuhaufen und befahl ihm, sich hinzulegen und zu schlafen. Der Mann tat es. Als er aufwachte, fand er auf einem Hügel ein Schloss und ringsherum einen tiefen Graben. Schnell ging er zum Grafen und zeigte ihm das Schloss.
Der Graf war sehr begierig, das Schloss in der Nähe zu betrachten und ging hin. Als er aber über die Brücke schreiten wollte, da brach sie zusammen, und er ertrank. So nahm der Schmied das Schloss in Besitz und wurde selbst ein Graf.
In: Knoop 1909:117.
 
Knoop, Otto (Hrsg.): Ostmärkische Sagen, Märchen und Erzählungen. Oskar Eulitz Verlag, Lissa i. P. 1909



[1] Der erste Satz der Sage vom bösen Klaus wurde aus didaktischen Gründen ein wenig verändert. Der originelle Anfangssatz der Sage „Der böse Klaus“ lautet nämlich: „Es war einmal in Georgsdorf bei Meiseritz ein Knabe mit Namen Klaus“. Diesen habe ich mit dem Satz aus der daneben gedruckten Sage Nr. 23, „Ein verstorbener erscheint als Hund“ ersetzt, damit im Text polnische Eigennamen erscheinen, und damit man mit der Frage danach an Wielkopolska anknüpfen kann.
[2] eine Wirtschaft